06.10.2010
Europäisches Modellprojekt soll Versorgungsmöglichkeiten in ländlichen Gebieten stärken
Metzger, Bäcker, Apotheker und Lebensmitteleinzelhändler aus Wolfach und Oberwolfach im Landkreis Ortenaukreis haben sich mit dem örtlichen Caritasverband zusammengetan, um gemeinsam den ersten virtuellen Wolfacher Einkaufsladen zu betreiben und einen Lieferdienst anzubieten. Bürgermeister Gottfried Moser und die Projektpartner vom Regionalverband Südlicher Oberrhein und der Technischen Universität Kaiserslautern haben gestern (5. Oktober 2010) gemeinsam den Online-Shop www.wolfach-bringts.de eröffnet. „Wolfach bringt’s“ ist eine Initiati-ve des Europäischen Projekts ACCESS, das helfen will, die Grundversorgung und deren Erreichbarkeit im ländlichen Raum zu verbessern.
Herzhafte Wurst vom Metzger Ihres Vertrauens, knusprige Brötchen, frisches Obst und Gemüse aus kontrolliertem Anbau – Einkaufen in ländlichen Regionen nimmt sich wie ein Idyll aus. Leider sieht die Realität in vielen kleinen und mittleren Städten und Gemeinden anders aus. Zahlreiche Lebensmittelhändler, -hersteller und Dienstleister auf dem Land konnten dem Preiskampf der Discounter und großen Verbrauchermärkte nicht mehr standhalten. Sie mussten bereits schließen, obwohl sie hervorragende Qualität und oftmals weitergehende Serviceleistungen anbieten.
Die Europäische Union will diesen Trend stoppen. „Mit Hilfe des INTERREG-Projekts ACCESS wollen wir Hilfestellungen geben, die Grundversorgung im ländlichen Raum zu verbessern. Dazu gehört einerseits, die kleinteilige Einzelhandelsstruktur und andere Dienstleistungsan-gebote zu sichern. Andererseits ist aber auch deren Erreichbarkeit mit dem öffentlichen Nahverkehr und mit Hilfe moderner Kommunikationsmittel zu verbessern“, erläutert Dr. Dieter Karlin, Direktor des Regionalverbands Südli-cher Oberrhein. „Wir stehen vor der Herausforderung, dass wir in Zukunft weit mehr Senioren-Haushalte haben werden, die auf wohnortnahe Versorgungsmöglichkeiten oder Lieferdienste angewiesen sind. Daher war es unser Ziel, zukunftsfähige Strukturen zu entwickeln und zu etablieren, die den Menschen den Alltag erleichtern und Händlern vor Ort eine Perspektive geben. Mit der Initiative „Wolfach bringt’s“ haben wir diese Kriterien bestens erfüllt“. Zugleich, so betont Dr. Karlin, müsse ein solches Modellprojekt auch im Zusammenhang mit der laufenden Teilfortschreibung des Regionalplans gesehen werden: „Die modellhafte Umsetzung stellt hier eine wertvolle Ergänzung zu den formellen Steuerungsmöglichkeiten der Regionalplanung dar, die sich auf Einzelhandelsgroßprojekte beschränken.“
Von Wolfachern, für Wolfacher
Der Online-Shop auf www.wolfach-bringts.de bietet den Bürgern von Wolfach die Möglichkeit, zu jeder Zeit viele Waren der ortsansässigen Händler zu bestellen. Um Mitbürgern ohne Internetanschluss ebenfalls die Möglichkeit zu bieten, von Zuhause aus einzukaufen, können die Waren auch über ein Bestellformular, über Fax und Telefon bestellt werden. Dienstags und donnerstags werden die Waren dann direkt an die Haustür geliefert. Trotz des fachlichen und organisatorischen Überbaus, wie er zur Einwerbung europäischer Fördermittel notwendig ist, ist es gelungen, dass „Wolfach bringt’s“ ausschließlich von Menschen und Institutionen vor Ort getragen wird: Den Lieferdienst sowie die Service-Stelle des Shops hat die Wolfacher Caritas-Station übernommen. Als Träger der Initiative fungiert vorerst der Caritas-Verband Wolfach-Kinzigtal e. V. Die Anschaffung der Transportmaterialien wurde dankenswerterweise vom E-Werk Mittelbaden finanziell unterstützt.
Für Bürgermeister Gottfried Moser fügt sich das neue An-gebot gut in die übergreifenden Ziele der Stadt ein: „Jung und dynamisch, mit Neugier, Offenheit und Mut für die Zukunft, so positioniert sich Wolfach im Stadtleitbild. Ich freue mich, dass wir dieses Leitbild wieder einmal in die Tat umsetzen und das Leben in Wolfach mit diesem neuen Service noch ein Stück lebenswerter machen können.“ Besonderer Dank, so betont Bürgermeister Moser, gilt dabei den örtlichen Akteuren.
Dr. Hans-Jörg Domhardt, der die Initiative mit dem Team vom Lehrstuhl für Regionalentwicklung und Raumordnung unter Leitung von Prof. Dr. Gabi Troeger-Weiß an der Technischen Universität Kaiserslautern wissenschaftlich berät, erläutert: „Durch eine umfassende Haushaltsbefragung und vielen Einzelgesprächen konnten wir die Projektidee auf die individuellen Anforderungen in Wolfach hin ausgestalten. Auch über den Start von „Wolfach bringt‘s“ hinaus werden wir die Initiative noch fast ein Jahr begleiten können.“ Danach, so die Zielsetzung der Europäischen Union als Fördermittelgeber, sollten die Akteure vor Ort selbst verantwortlich sein. „Wir haben deshalb von Beginn an darauf geachtet, Strukturen zu schaffen, die sich ohne unseren Beistand weiterentwickeln können und eine wirtschaftliche Tragfähigkeit erwarten lassen“, so Dr. Hans-Jörg Domhardt. Er betont, dass dafür neben den Senioren, die vielfach schon heute auf Lieferdienste zurückgreifen, mit dem Online-Shop bewusst auch Berufstätige und Pendler angesprochen werden sollen, denen schlicht die Zeit fehlt, um in Wolfach einzukaufen.
Regionale Gestaltung für den Online-Shop
Auch technisch müssen die Wolfacher bis Mitte nächsten Jahres alles selbst im Griff haben. Noch haben sie dafür die Freiburger Kommunikationsagentur Schleiner + Part-ner an ihrer Seite. Die Agentur hat die Gestaltung und technische Umsetzung des Shops und der Kommunikationsmittel übernommen. „Als wir vor einigen Monaten erstmals mit dem Regionalverband und der TU Kaiserslautern zusammen kamen, mussten wir noch einiges über Grundversorgung im ländlichen Raum lernen. Der Online-Shop war für uns eine Herausforderung, hier mussten Logik und Logistik stimmen. Darüber hinaus wollten wir dieser regionalen Initiative auch ein regionales, ein persönliches Gesicht geben. Wir haben den Shop und die Kommunikationsmittel deshalb mit authentischen Bildern gestaltet“, so Michael Schleiner, Geschäftsführer von Schleiner + Partner. Der Agentur war besonders wichtig, dass die Menschen sich in der Gestaltung wiederfinden. Zudem wurde die Verwaltung des Shops einfach konzipiert, damit die Wolfacher ihn später selbständig pflegen können.
Wolfacher Modellprojekt mit Vorbildfunktion
Die Projektpartner sind zuversichtlich, dass die Initiative „Wolfach bringt’s“ zum Vorbild werden kann für viele ländliche Gebiete. Nach Freiamt (Landkreis Emmendingen) ist Wolfach nun die zweite Gemeinde, die mit einem gemeinsamen Online-Shop des lokalen Einzelhandels an den Start geht.
Eine gute Gelegenheit, sich mit diesem Projekt zu präsentieren, wird sich schon am 14. Oktober 2010 ergeben, wenn die acht Modellregionen des EU-Projekts aus Deutschland, Frankreich, Österreich, Italien und der Schweiz nach Freiburg kommen. Im Rahmen der Regio-nalkonferenz des INTERREG-Projekts ACCESS werden die Pilotprojekte vorgestellt und mit Vertretern aus Land und Region die Politik und Fördermöglichkeiten zur Ver-besserung der Grundversorgung in ländlichen Räumen diskutiert (Presseeinladung zur Regionalkonferenz folgt).
„Wolfach bringt’s“ (www.wolfach-bringts.de) ist eine Initiative des INTERREG-IV-B-Projekts ACCESS (www.access-alpinespace.eu), gefördert im Rahmen des Alpenraum-Programms der Europäischen Union.